Weshalb Zoom, Skype & Co unsere Zusammenarbeit nicht ausreichend unterstützen.
Wenn wir heute vor dem Computer - im Idealfall mit Webcam und Headset ausgestattet - an einem Online-Meeting teilnehmen, sehen wir maximal eine Person zur selben Zeit am Bildschirm. Jene, die gerade zu uns spricht. Und ist man dann selbst an der Reihe, sieht man in der Regel sein Auditorium nicht mehr. Damit gestalten sich unsere aktuellen, virtuellen Meetings deutlich anders, als wir es bisher gemeinsam in einem Raum sitzend gewohnt waren.
Nun ließe sich das Problem der „Sichtbarkeit“ aller Teilnehmer während unserer Meetings mit einer professionellen Video-Lösung ganz einfach in den Griff bekommen. Wir können uns das an den Bildern in den Nachrichten vorstellen, wenn zum Beispiel davon berichtet wird, dass sich alle Aussenminister der Europäischen Union in einer Video-Konferenz abstimmen.
Da werden große Bildschirme gezeigt, auf denen alle Gesichter der Gesprächspartner gleichzeitig eingeblendet sind. Dennoch wären wir überfordert eine Stunde lang mehr als fünf Live-Porträts gleichzeitig wahrzunehmen und richtig zu interpretieren. Unsere visuelle Wahrnehmungsfähigkeit ist stark ausgeprägt, kommt aber in einem solchen Setting bald an ihre Grenzen.
Berufsbedingt - und auch persönlich interessiert - spreche ich mit vielen Managern aus unterschiedlichen Branchen und Fachbereichen über ihre aktuelle Arbeitssituation. Wie ihre Unternehmen mit der Büronutzung umgehen, wie sie ihre Teams betreuen und welche Erfahrungen Sie aktuell mit Meetings machen. Dabei treffe ich in den letzten Wochen auf zwei unterschiedlich eingestellte Gruppen:
Einerseits die völlig Euphorisierten, die in der virtuellen Welt über Skype, Webex, Zoom und Co endlich eine effiziente Möglichkeit entdeckt haben sich auszutauschen ohne dabei ins Flugzeug steigen zu müssen, ohne sich einen Besprechungsraum zu suchen und ohne den täglichen Stau ins Büro zu absolvieren. Diese Gruppe scheint restlos begeistert zu sein und möchte diese „neu gewonnen“ Vorteile der Digitalisierung auch in Zukunft weiterhin so viel wie möglich nutzen. Ja sogar überhaupt nurmehr in Ausnahmefällen ins Büro fahren.
Die andere Gruppe ist eher skeptisch und beklagt, dass virtuell nur sehr wenig möglich ist. Sie begrüßen auch die Vorteile der digitalen Kommunikation an viele Stellen, beobachten aber, dass manche Meetings online nicht so gut laufen wie die bisherigen Präsenzmeetings. Auf meine Frage, was es denn sei, dass den Unterschied machte der den Unterschied macht, erhielt ich unlängst die Antwort: “es ist der Spirit of the Place“. Diese Führungskräfte berichten auch darüber, dass sie in einem Präsenzmeeting einfach schneller am Punkt sind, sich die so getroffene Vereinbarungen besser umsetzten lassen und sich das Team einfach weiterentwickelt.
Als langjähriger Workshop Moderator kenne ich diesen „Spirit of the Place“ sehr gut und habe vor vielen Jahren gelernt diesen Spirit proaktiv für meine Moderationen einzusetzen. Ich verstehe daher auch jene Einwände, die beklagen, dass in der Online-Welt nicht alle Meetings so gut verlaufen wie bisher in einem physischem Raum.
Was aber macht diesen Spirit nun aus? Was ist der Unterschied der einen Unterschied macht?
Zum einen können wir auf länger bekannte und anerkannte Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaft zurückgreifen. Nehmen wir zum Beispiel das „Eisbergmodell“ her, welches besagt, dass mehr als 80% unserer Kommunikation „unter der Wasseroberfläche“ stattfindet. Das bedeutet, dass das gesprochene oder das geschrieben Wort - die „explizite Kommunikation“ - maximal 20% unserer gesamten Kommunikation ausmacht. Der Rest - die „implizite Kommunikation“ - wird über andere Mechanismen, wie Ausdruck, Gestik und Mimik, Tonfall und Tonalität, Emotionalität, uvm. zum Ausdruck gebracht. Denken Sie nur daran, dass Sie in einem Präsenzmeeting sehr gut erkennen können, wenn ein Teilnehmer schon lange nichts mehr gesagt hat und trotzdem deutlich zeigt, dass er mit dem Besprochenen nicht einverstanden ist. „Man kann nicht nicht-kommunizieren“ war wohl einer der bekanntesten Aussprüche des Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick. In der Online-Welt geht das schon. Dort kann man hervorragend „nicht-kommunizieren“. Ein idealer Ort um seine Emotionen, Reaktionen und Meinungen, die einem „förmlich ins Gesicht geschrieben stehen“ zu verbergen.
Einer meiner Kollegen hat mir unlängst erzählt, dass während der Moderation seiner Workshops immer ein imaginärer Kobold auf seiner Schulter sitzt. Dieser Kobold ist dafür verantwortlich alles „Nicht-Gesagte“ wahrzunehmen und ihm ins Ohr zu flüstern. Mit diesen „impliziten Informationen” seines Kobolds kann er als Moderator dafür sorgen Einwände an die Oberfläche zu bringen, tragfähigen Konsens herzustellen und sogar neue Ideen, die sonst verloren gegangen wären, aufzugreifen. Während seiner Online-Meetings sei dieser Kobold hilflos, da er viel zu wenig Futter bekommt um diese impliziten Informationen zu formulieren.
Ein weiteres Erklärungsmodell für den „Spirit of the Place“ finden wir in den (noch) nicht wissenschaftlich fundierten Beobachtungen aus der Praxis. Wenn sich mehrere Personen im selbem Raum befinden entsteht offenbar so etwas wie eine “Gruppendynamik”. Man „spürt“ sich gegenseitig und entwickelt mit der Zeit ein Gefühl füreinander. Wir können offenbar, so wie die oft zitierte „Cat in the Corner“, einfach nur da stehen und durch Beobachtung ein Gespür für die Anderen im selben Raum entwickeln. Diese Tatsache wird zunehmend auch in der Kunst- und Kulturszene thematisiert. Warum besuchten wir bis vor kurzem noch Live-Konzerte, wo doch die dargebrachten Musikstücke schon lange billiger und in viel höherer Klangqualität auf unsere Smartphones gestreamt werden. Wieso gehen wir noch ins Kino, wo doch der Wunschfilm völlig gefahrlos in HD-Qualität nach Hause geliefert wird. Es muss wohl etwas mit dieser Gruppenerfahrung, mit diesem Gruppenerlebnis zu tun haben. „Live wird nicht sterben, weil live bedeutet Leben, gemeinsames Erleben, bedeutet Unvollkommenheit, bedeutet kollektives Spüren!“ hat Wolfgang Fischer, Geschäftsführer einer der größten Veranstaltungshallen Europas vor kurzem in einem Interview gesagt. Und dieses Live vermissen wir auch während unserer Meetings in der Online-Welt.
Nicht jedes Meeting, jede Abstimmung, jedes Jour-Fix, welches wir bisher in einer “realen Welt” abgehalten haben, benötigt diesen Spirit. Vor allem dann nicht, wenn sich die handelnden Personen schon länger und besser kennen. Aber unter den gegebenen Umständen stellt sich doch die Frage, wie wir unsere Meetings in einer noch länger anhaltenden, virtuellen Arbeitswelt besser gestalten können. Wie wir Meetings, die mehr als einen reinen Status- und Informationsaustausch benötigen, wieder zielführend moderieren können. Wie wir den Kobold auf unserer Schulter richtig füttern und die Gruppendynamik anheizen können.
Drei persönliche Beobachtungen, an denen ich die Schwächen aktueller Video-Meetings festmachen kann:
Unser eingeschränktes Blickfeld durch Webcams und Computerbildschirme, welches immer nur eine Information zur selben Zeit zeigt. Also entweder eine geteilte Power-Point Präsentation oder das Gesicht einer Sprecherin. Und selbst wenn wir, wie oben erwähnt, mit moderneren Technologien mehrere Bilder und Köpfe gleichzeitig einblenden könnten, so fehlen uns dennoch unzählige visuelle Eindrücke „Abseits der Bühne“, die wir in Präsenzmeetings aus den Augenwinkeln wahrnehmen können. Online filtert also ganz klar viele visuelle Signale unterhalb der Wasseroberfläche des Eisberges aus. Wir bekommen online nur einen geringen Teil, der uns sonst zur Verfügung stehenden Informationen übermittelt.
Unsere eingeschränkte Empathiefähigkeit vor dem Bildschirm. Wir benötigen die physische Nähe um emotionale Empathie aufzubauen zu können, um die „leisen“ Gefühle und Emotionen anderer mitzubekommen oder unsere eigenen zum Ausdruck zu bringen - ohne dabei gleich laut oder unangenehm zu wirken. Ergreifen wir in Meetings das Wort, so bringen wir unsere Argumente sachlich und logisch vor. Die zugehörigen Emotionen, die wir ständig und oft unbewusst zeigen, werden durch das Online-Medium aber ausgefiltert. Das führt auch dazu, dass wir uns in Online-Meetings nicht so leicht motivieren können, uns für eine Sache nicht emotional begeistern können, uns nicht von der Gruppendynamik anstecken lassen können. Ja, wir haben eine Reihe guter, sachlicher Gründe weshalb wir trotzdem dran bleiben und unsere zugewiesenen Aufgaben erledigen. Der Energieschub und die emotionale Verbindlichkeit, das sogenannte “buy-in”, welches wir aus guten Meetings kennen, bleiben aber aus.
Die Möglichkeit zur eingeschränkten Aufmerksamkeit von Meeting-Teilnehmern. Online-Meetings sind nicht nur emotional weniger verbindlich, sondern eignen sich auch hervorragend um sich selbst aus der Affäre zu ziehen - sich selbst aus der Präsenz zu nehmen und in andere Welten abzutauchen. Das passiert uns natürlich ebenso in Präsenzmeetings, sei es mit einem aufgeklappten Notebook-Bildschirm vor Augen oder durch einen aufkommenden Gedanken, der uns in die Ferne trägt. Das ist vollkommen natürlich und menschlich. Die Aufmerksamkeit aufzubringen, andere über einen längeren Zeitraum hinweg vollinhaltlich zu verstehen, ist körperlich enorm anstrengend. Und je nach Qualität der Präsentation verlieren wir früher oder später alle den Faden. Aber in Online-Meetings fällt das einfach nicht auf. Online merkt das keiner, oder erst (viel zu) spät.
Solange wir also mit anderen Menschen mehrheitlich in virtuellen Räumen arbeiten, benötigen wir neue Konzepte für Meetings, die uns weiterbringen sollen. In denen uns die implizite Kommunikation und Gruppendynamik für eine erfolgreiche Zusammenarbeit fehlt. Das betrifft sicher nicht alle Meetingtypen. Aber mit Sicherheit solche, wo wir neue Strategien oder neue Produkte und Prozesse entwickeln müssen. Dort reichen unsere bisherigen Meeting-Konzepte für ein gutes Gelingen in der Online-Welt nicht aus.
Wir müssen die Gestaltung von Online-Meetings also neu überdenken. Wie sieht eine Agenda für ein Online-Meeting aus um auch möglichst viel implizite Information aufzugreifen? Wie müssen Meeting-Inhalte aufbereitet sein? Und wie sollte deren Dokumentation aussehen? Wie gestalten wir Inhalte und Frequenz von Follow-Ups?
Und auch der Umgang mit neuen, professionellen Online-Werkzeugen wie WhiteBoards und Jamboards muss erlernt werden. Die gemeinsame Visualisierung von Themen- und Aufgabenstellungen helfen uns im Team in die selbe Richtung zu denken - und zu gehen.